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Einer geht noch!
Unterwegs im "Klettergarten Wilder Kaiser"
Nürnberg, ein
Septembersamstag, 4:45Uhr, unsanft beendet der Wecker den viel zu
kurzen Schlaf eines fränkischen Sachsen und eines sächsischen
Franken (oder umgekehrt).
Wer in seiner Freizeit
so früh aufsteht kann wohl nur verrückt sein oder
Bergsteiger (wobei sich beides oft überschneidet)
Auf der Autobahn wird
dann das Vorhaben konkretisiert: Zwei schöne gemütliche
Fünfer am den sonnigen Felsen des Wilden Kaisers, dieses so
schön leicht erreichbaren, relativ niedrigen (bis ca. 2300 m),
zuweilen als Großer Münchner Klettergarten"
bezeichneten Gebirges sollten schon gelingen. Das Wochenende ist
natürlich viel zu kurz, darum ziehen wir trotz des trostlosen
Nebelwetters mit Siebenmeilenstiefeln vom Parkplatz an der
Wochenbrunner Alm los. Der große Plan (11:00 Uhr Quartier
beziehen auf der Gruttenhütte; 11:30 Uhr Weitermarsch; 12:30 Uhr
am Einstieg der Christaturm-Südostkante stehen; 16:00 Uhr
Gipfel-"sieg") ist in unseren Köpfen schon so gut wie
verwirklicht. Und siehe da, es wird zusehends heller beim Aufstieg
zur Hütte. Später kommt sogar blauer Himmel zum Vorschein.
Mensch, das haben wir ja perfekt arrangiert: die ganze Woche
Mistwetter und jetzt genau ab Hütte Sonnenschein", freut
sich Jens.
Nach der nächsten Wegbiegung machen wir dann
eine äußerst ärgerliche Entdeckung. Hier ist ja
Winter?!" bis auf 1500m herunter liegt eine geschlossene
Schneedecke und selbst die mittlerweile besonnten Südwände
sind weit von einem bekletterbaren Zustand entfernt. Trotzdem lachen
wir beide erstmal laut los Ach was, in zwei, drei Stunden ist das
alles weggetaut" Ähh Jens, wenn du meine laienhafte Meinung
hören willst: Ich glaube nicht, daß wir dieses Wochenende
überhaupt was klettern" Das ist doch eine Kante, da bleibt
so schnell kein Schnee liegen"
Wenig später gehen
wir dann doch voll bepackt mit Seil, Klemmkeilen, Kletterschuhen und
einer großen Portion Zweckoptimismus von der Gruttenhütte
los. Spätestens als am Ellmauer Tor unsere gamaschenlosen Schuhe
im gut 20 cm tiefen Schnee versinken wissen wir, was die Stunde
geschlagen hat. So schließen wir uns (ferngesteuert?) dem
Lemmingstrom zur Hinteren Goinger Halt an. Diese Tour gehört bei
normalen Verhältnissen zum Standardprogramm jedes Wanderers im
Kaiser. Am Gipfelkreuz sehen wir dann auch bei anderen Gipfelstürmern
Seile, Helme usw. aus den Rucksäcken lugen. Wir sind nicht die
einzigen Blöden, die bei den Wetterberichten der letzten Tage
wohl nicht so genau hingehört haben und ein
Spätsommerkletterwochenende, keine Winterwanderung, geplant
haben.
Immerhin haben wir vom Gipfel einen schönen
Rundblick auf Kletterziele für die nächsten zehn Jahre, nur
eben nicht für die nächsten zwei Tage. Da wir uns noch
nicht so recht ausgelastet fühlen, sammeln" wir noch den
Nebengipfel Vordere Goinger Halt ab. Der Übergang ist im
AV-Führer immerhin als II ausgezeichnet und in der Tat, wir
würden uns mit Steigeisen an den Füßen wohler fühlen.
Dafür sind wir auf dem Gipfel alleine. Mit der lustigen
Schnecke, unserem Klublogo, im Gipfelbuch sollte es Interessierten
leichter fallen, unsere Eintragung wiederzufinden.
Da der
teils hüfthohe Schnee an meiner Hose ohnehin keine trockene
Faser gelassen hat, gönne ich mir als besonderes Vergnügen
den schnellen Abstieg Methode Hosenboden". Wieder am Ellmauer
Tor angelangt beginnen ein paar Mädels zu feixen als ich mich
entblöße und Hosen und Socken auswringe - "Sag mal -
warst du baden...?"
Am nächsten Morgen:
Das
Blechschild an der Hütte weist uns den Aufstieg zur Ellmauer
Halt, ein Wanderweg", immerhin mit dem Zusatz Nur für
Geübte". Über hartgefrorenen Schnee gelangen wir zur
ersten schrofigen Steilstufe, wo diverse Gedenktafeln an die auf dem
Wanderweg" Abgestürzten erinnern. Ein stilvoller Anfang.
Wir müssen uns hier schon Mühe geben, drei Nürnberger,
die nach uns einsteigen, nicht mit Steinen zu bewerfen. Daß
Schnee und Eis herunterfällt, läßt sich sowieso nicht
vermeiden. Aber immerhin lohnt es sich, daß wir die Helme
mitgenommen haben. Nach einigen hundert Metern auf den Gamsängern",
einem schneebedeckten, ausgesetzten Grasband, welches wir
linksansteigend verfolgen, legen wir eine ausgiebige Frühstückspause
ein. Dabei müssen wir zugegebenermaßen leicht amüsiert
zusehen, wie erst die Nürnberger, später auch noch eine
Gruppe von vier Österreicher/Innen die Waffen strecken und uns
zwei Verrückten" das Feld alleine überlassen. So muß
ich weiter spuren, immer auf der Suche nach dem nächsten
wegweisenden Rotpunkt". Der Weg wird zusehends anspruchsvoller
und wir müssen unseren sportlichen Ehrgeiz, die Drahtseile nicht
als Griff zu benutzen, recht schnell aufgeben. Auch wenn uns der hier
getriebene Aufwand teils recht übertrieben vorkommt, wie an der
Jägerwand", wo es statt der sage und schreibe 74 dicken
Trittklammern und der extravaganten Leiterkonstruktion ein Drahtseil
alleine auch getan hätte.
Leider ist der wärmende
Sonnenschein mittlerweile von einer Wolke, die uns und den Berg
einhüllt, verschluckt worden. Als wir in die Nordseite der
Ellmauer Halt queren, erwartet uns dort verdammt harter, überfrorener
Naßschnee. Jetzt ist Jens mit Spuren an der Reihe. Dabei flucht
er über die steigeisenfesten Stiefel, die Zuhause im Schrank
stehen und die viel zu weichen Trekkinglatschen, die er in die harte
Kruste rammt.
Ein Blick in den Führer belehrt uns
darüber, daß noch circa einhundert Höhenmeter zum
Gipfel fehlen und auf den nächsten 20, 30 Metern zwei Varianten
möglich sind. Jens schaufelt sich die luftigere und reizvollere"
frei. Als ich schließlich genug davon habe, mit Schnee und Eis
beworfen zu werden, beschließe ich, die einfachere Rinne links
zu probieren. Flotten Schrittes stampfe ich durch harten Schnee
hinauf, dann die rettende Ausstiegsleiter. Schnell die Eisensprossen
hinauf und Ende. Ich sehe keine Chance, die vor mir liegende steile
Schneefläche zu bezwingen. Vermutlich liegen irgendwo darunter
Drahtseile oder zumindest griffiger Fels, doch das nützt mir
jetzt herzlich wenig. Nach einiger Zeit taucht Jens oben auf und
begutachtet meine Situation. Schließlich kommen mit Gurt und
Seil weitere Ausrüstungsgegenstände zu Ehren. Während
Jens oben eine Sicherung für mich aufbaut stelle ich fest, daß
der Friend Größe 2,5 (das altmodische Modell mit starrem
Schaft) einen hervorragenden Eispickelersatz abgibt und sich
tatsächlich klettergünstige Felsstrukturen unter der
Schneekruste verbergen. So wird auch diese letzte größere
Hürde genommen und wenig später stehen wir auf dem mit 2344
m höchsten Punkt des Kaisergebirges. Nach einem gegenseitigen
Berg Heil" flüchten wir schnell wieder vor dem eisigen Wind
in das kleine Unterstandshüttchen dicht unter dem Gipfel.
Hier legen wir
nochmals eine ausgiebige Pause ein, versuchen Hose, Schuhe und Socken
vom tropfnassen in nur noch leicht feuchten Zustand zu versetzen und
beraten über den Abstieg. Der Aufstiegsweg, der sehr lang ist,
weil er quer durch die gesamte Südwand des Berges führt,
erscheint uns zu aufwendig. Außerdem befürchten wir, daß
der mittlerweile erwärmte, aufgeweichte Schnee mit uns die Wand
hinuntersaust. An einigen Stellen sichtbare kleine Rutschungen weisen
auf diese Gefahr hin. Also beschließen wir, den direkten Weg zu
erkunden. Er führt durch die geröllgefüllte Rote
Rinne", wahrscheinlich steinschlaggefährdet, aber auf jeden
Fall wesentlich schneller. Das große Fragezeichen steht ganz
oben: Der Einstieg in die Rinne hält eine von oben schwer
einzuschätzende, etwa 5 Meter hohe, felsige Steilstufe bereit.
Hier dürfen wir nicht auf Drahtseile hoffen, da dieser Weg laut
Karte und Führer überhaupt nicht existiert. Beim
vorsichtigen Betasten eines großen Griffes, der gleich die
Reise nach unten antritt wird auch schnell klar, warum. Wir müssen
uns hier konzentrieren, um dem Stein nicht zu folgen. Den letzten
problematischen Meter bewältigen wir kurzerhand mit einem
kleinen Sprung in den weichen Schnee. Jetzt heißt es nur noch
so schnell wie möglich die Geröllhalde hinunter und weg
hier, bevor uns womöglich irgendwelche Brocken auf den Kopf
fallen.
Keine drei Stunden
später sitzen wir in T-Shirt und kurzen Hosen in Ellmau beim
Radler, der Sommer hat uns wieder!
Autor/in: Joe Finzel
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